Wie ein kleiner Hase zum Riesen wurde

Tho­mas Schüt­tes Skulp­tur im Berg­park ist ei­ne Hom­mage an die kind­li­che Krea­ti­vi­tät.

von Bettina Schack

Kunst­werk von Tho­mas Schüt­te, ist in Loh­berg im Berg­park zu fin­den.

Foto: Markus Joosten

Dinslaken. Kein „Häs­chen in der Gru­be“. Da­für ist der knall­ro­te Kunst­stoff-Ko­loss zu groß und die „Gru­be“, der Rund­e­indi­cker des ehe­ma­li­gen Berg­werks Loh­berg, zu sehr Be­ton­schüs­sel. Aber die Nä­he zum Kin­der­spiel­platz des Berg­parks passt: Der „Ha­se“ von Tho­mas Schüt­te ist Kunst für die gan­ze Fa­mi­lie. El­tern soll­ten es ih­ren Kin­dern zei­gen. Und er­klä­ren, was ge­ra­de für die Klei­nen dar­an so toll ist. Tho­mas Schüt­te, Preis­trä­ger des Gol­de­nen Lö­wen der Kunst­bi­en­na­le Ve­ne­dig 2005, bringt mit dem „Ha­sen“ im Berg­park die kind­li­che Krea­ti­vi­tät ganz groß her­aus.

 

Das mo­nu­men­ta­le Kunst­werk ba­siert auf ei­ner Fi­gur, die sei­ne Toch­ter, als sie noch klein war, im Ate­lier ih­res Va­ters aus Ton­res­ten kne­te­te. Des­halb wirkt die Kunst­stoff­plas­tik wie leicht zur Sei­te ge­neigt und in sich zu­sam­men­ge­sackt, schla­gen die di­cken Bei­ne Fal­ten an­statt den Ha­sen hoch auf­ge­rich­tet ste­hen zu las­sen. Wäh­rend Schüt­te, der in­ter­na­tio­nal re­nom­mier­te Künst­ler, al­lein acht Jah­re an der Kunst­aka­de­mie Düs­sel­dorf ver­brach­te und ent­spre­chend tech­nisch ver­siert ist, kne­te­te die Toch­ter mun­ter drauf los, oh­ne sich Ge­dan­ken dar­über zu ma­chen, dass ei­ne sol­che Ton­fi­gur ein Me­tall­ge­rüst als in­ne­re Stüt­ze ge­braucht hät­te.

 

Aber das hat auch nie je­man­den in der Fa­mi­lie Schüt­te ge­stört. Der Ha­se be­gann als Os­ter­ha­se, ge­hör­te aber bald dau­er­haft zur Fa­mi­lie. Er wur­de „Os­ter­ha­se, Weih­nachts­mann, Ni­ko­laus, Hal­lo­ween, Kar­ne­val, WM-Mas­kott­chen“.

 

Und ir­gend­wann ein Schüt­te, Tho­mas Schüt­te. Das Ge­sicht, das so mensch­lich, er­wach­sen und ernst wirkt, löst durch den Wi­der­spruch zum Rest des Kör­pers Ir­ri­ta­ti­on aus. Aber ge­nau die­se Art, wie es mo­del­liert ist, nicht Schön­heit er­hei­schend, son­dern in­ne­re Kämp­fe nach au­ßen Aus­druck ver­lei­hend, ist ty­pisch für Schüt­tes fi­gür­li­chen Stil. Durch das Ge­sicht wan­delt sich der ge­sam­te Kör­per. Die Kin­der­fi­gur, die ein­fach durch die Un­be­fan­gen­heit der klei­nen, noch un­er­fah­re­nen Künst­le­rin in sich zu­sam­men­ge­sackt ist, er­hält ei­ne Wen­dung hin zur De­for­ma­ti­on – und öff­net da­mit In­ter­pre­ta­ti­ons­spiel­räu­me, die bei man­chen so­gar Un­be­ha­gen aus­lö­sen.

 

Es ist ein Ne­ben­ef­fekt, der durch die Um­ge­bung ver­stärkt wird. Die Oh­ren des Ha­sen mö­gen zwar al­ler­orts im Berg­park her­vor­lu­gen, der tie­fe Rund­e­indi­cker, auf dem die Plas­tik iso­liert auf ei­nem Be­ton­so­ckel steht, hat al­ler­dings et­was von ei­nem Wild­tier­ge­he­ge in Zoos, wie sie frü­her gang und gä­be wa­ren und heu­te aus Tier­schutz­grün­den völ­lig zu­recht ge­äch­tet sind. Kers­tin Strem­mel fand die­sen sehr tref­fen­den Ver­gleich in ih­rem Es­say in der Pu­bli­ka­ti­on „Cho­reo­gra­phie ei­ner Land­schaft“. Aber sie ver­glich den „Ha­sen“ auch mit dem „März­ha­sen“ aus „Ali­ce im Wun­der­land“.

 

Sze­nen­wech­sel. Von Loh­berg in die Schweiz, vom Berg­park in den Skulp­tu­ren­park der Fon­da­ti­on Beye­ler. Das Mu­se­um selbst, ein Bau von Ren­zo Pia­no, be­her­bergt ei­ne der be­deu­tends­ten Kunst­samm­lun­gen des 20. Jahr­hun­derts, ak­tu­ell tref­fen in ei­ner Son­der­aus­stel­lung die plas­ti­schen For­men von Ro­din auf die von Hans Arp.

 

Drau­ßen, am Ufer ei­nes See­ro­sen­tei­ches der „Ha­se“. Nicht rot la­ckiert, son­dern ganz edel in Bron­ze ge­gos­sen - und um ei­ne wei­te­re Fa­mi­li­en­ar­beit er­gänzt. Schüt­tes Sohn reg­te an, den Ha­sen zum Was­ser­spei­er zu ma­chen, so er­zähl­te es der Künst­ler selbst 2014 im In­ter­view. Lei­der ha­be sich die­se Funk­ti­on mit dem Loh­ber­ger Ma­te­ri­al nicht rea­li­sie­ren las­sen. Wie an­ders ist die Wir­kung der Bron­ze-Plas­tik in ih­rem Kon­text im Park der Fon­da­ti­on Bey­ler ge­gen­über der ih­res Pen­dants im Rund­e­indi­cker. Der Ha­se, von je her ein Sym­bol der Frucht­bar­keit ver­strömt Was­ser, ein Sym­bol des Le­bens.

 

In Dins­la­ken wird der Ha­se von Ju­gend­li­chen als Ziel­schei­be miss­braucht, sei­ne ab­blät­tern­de Ober­flä­che weist Stein­schlä­ge auf. Da­bei ist er ein Kunst­werk, wie es in Dins­la­ken kein zwei­tes gibt: das Er­geb­nis von Krea­ti­vi­tät von Toch­ter und Va­ter, ein auf dem So­ckel der Kunst er­ho­be­ner „Fa­mi­li­en-All­zweck­hei­li­ger“, ein Fest kind­li­cher Krea­ti­vi­tät und ih­rer Wert­schät­zung durch die El­tern. De­ren Blick soll­te vom be­nach­bar­ten Spiel­platz hin­über ge­hen zu der Mo­nu­men­tal­fi­gur zu­sam­men mit der Er­mun­te­rung an die Kin­der: „Guck mal, kannst du das auch?“

 

Und kei­ne Sor­ge: Man braucht we­der ei­nen Teich noch ei­nen Rund­e­indi­cker: Der ori­gi­na­le All­zweck-Ha­se der Fa­mi­lie Schüt­te war nur 20 Zen­ti­me­ter groß.

 

Quelle: RP 12.04.2021