Die Verwandlung der Daphne
In der griechischen Mythologie verwandelt sich die Nymphe in einen Lorbeerbaum, um sich den Übergriffen des unsterblich in sie verliebten Gottes Apollon zu entziehen. Kuno Lange hat sie als Bronze-Plastik geschaffen.
von Bettina Schack
Die „Daphne“ auf ihrem Sockel neben dem Eingang des Museums Voswinckelshof.
Foto: Lars Fröhlich
Dinslaken. Stellt die Bronze-Skulptur vor dem Museum Voswinckelshof eine weibliche Figur dar, eine abstrakte Form oder eine stilisierte Pflanze? Alle drei Interpretationen sind richtig – in dieser Kombination. Die Plastik neben dem Museumseingang stellt „Daphne“, eine Nymphe aus der griechischen Mythologie, dar. Geschaffen hat sie der in Mülheim lebende und arbeitende Bildhauer Kuno Lange. Er war es auch, der gemeinsam mit Klaus Jost die „Streithähne“ am Ententeich entwarf und aus Metallteilen zusammenschweißte. Beide Arbeiten, das überdimensionale Gemeinschaftswerk und der 90 Zentimeter große Bronzeguss, brachten Kuno Lange in der Publikumswertung über den Skulpturenweg 2001 den ersten und zweiten Platz ein.
Daphne, die sich verstecken, verwandeln und ihr Frau- und Menschsein aufgeben muss, um sich dem drohenden sexuellen Übergriff durch Apollon zu entziehen. Sie wurde zum Lorbeerbaum. Apollon, dessen Begierde durch einen Pfeil Amors entfacht wurde, küsste das vor ihm zurückweichende Holz – und trug seitdem Lorbeerkränze.
Unsterblich wurden der Gott und die Nymphe durch die Kunst. „Durch Verwandlung verdirb die Gestalt, mit der ich zu sehr gefiel“, lässt der Dichter Ovid Daphne in seinen „Metamorphosen“ flehen. „Verdorben“ wurde Daphnes Gestalt seitdem keineswegs. „Zu sehr gefiel“ sie den Künstlern, jede Generation nahm sich der Darstellung der Nymphe aufs Neue an.
So auch Max Kratz (1921-2000). Der Bildhauer, dem vor einigen Jahren im Museum Voswinckelshof eine Sonderausstellung gewidmet wurde, war der Professor von Kuno Lange an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Er habe den Künstler schon in jungen Jahren dazu inspiriert, sich mit dem Thema des Versteckens und konkret mit der Figur der Daphne zu beschäftigen, erklärt Kuno Lange rückblickend.
„...die Haare werden zu Laub, die Arme wachsen als Äste; schon wird der flinke Fuß von trägen Wurzeln gehalten, ein Wipfel verbirgt das Gesicht: Der Glanz allein bleibt ihr“, heißt es weiter bei Ovid. Langes „Daphne“ schlägt mit Fuß und Knien bereits spitze Wurzeln in den Boden, ihr Körper verflacht zum leicht geschwungenen Blatt. Ein wenig erinnert die Formsprache der Plastik an die Scherenschnitt-Akte von Matisse, die Dinslakener „Daphne“ wirkt klassisch modern und damit zeitlos.
20 Jahre sind seit ihrer Aufstellung vergangen. Als der Museumsplatz im Zuge des Archivbaus und der Schaffung des stadthistorischen Zentrums umgestaltet wurde, rückte „Daphne“ näher an den Eingang und erhielt einen neuen Sockel, da der alte sich geneigt hatte. Kuno Lange würdigt in diesem Zusammenhang besonders das Engagement und die Person von Museumsleiter Peter Theißen. Die Pflege und der Erhalt von Kunst im öffentlichen Raum sei längst keine Selbstverständlichkeit mehr. So, wie sich die Kunst im öffentlichen Raum insgesamt in einer Krise befände.
„Früher bewarb ich mich auf vier bis fünf Ausschreibungen im Jahr“, so Lange. Wenn heute noch Wettbewerbe ausgelobt würden, bedeute das über ein Auswahlverfahren in mehren Runden leicht sechs Wochen Arbeit – unentgeltlich, für nichts.
Es fehlt an öffentlichen Aufträgen, es fehle aber auch an privater Sammelleidenschaft. „Die 30- bis 40-Jährigen geben ihr Geld lieber für Reisen aus“, so Lange, „die Kunstsammlung erben sie von ihren Vätern. Jungen Menschen, die heute Künstler werden wollen, rate ich davon ab.“ Langes Schwerpunkt liegt – trotz regelmäßiger Ausstellungen – in der Dozententätigkeit.
„Daphne“ hat ihren Platz am Voswinckelshof gefunden. So wie die „Streithähne“ zum Ententeich gehören, eine realistisch-figürliche Arbeit von Kuno Lange an die Pestopfer von 1635 in Sonsbeck erinnern, auf dem Marktplatz in Wesel seit 25 Jahren sein Heresbach-Denkmal steht und der mit Klaus Jost geschaffene „Kulturwächter“ in Oberhausen mahnt. Keine Arbeit von Kuno Lange gleicht der anderen, seine stilistische Vielfalt überrascht immer wieder aufs Neue. Und auch wenn für Lange das Thema der „Daphne“ das Maskieren und das Verstecken ist, als Skulptur wird sie immer die Blicke auf sich ziehen.
Quelle: RP 26.04.2021