Die Reise des schwebenden Würfels
Die Skulptur von Günther Zins ist so fragil und leicht, dass ihr Verschwinden über Monate unbemerkt blieb.
von Bettina Schack
Im Park am Rathaus hing er sicherlich prominenter und wurde von mehr Menschen wahrgenommen. Seit einem Jahr ist der Zins-Würfel über dem Eingang zum Technischen Rathaus an der Hünxer Straße zu finden.
Foto: Lars Fröhlich
Dinslaken. Es war der spektakulärste „Kunstraub“ in Dinslaken der vergangenen Jahrzehnte, der da im August 2008 hohe Wellen schlug. Der schwebende Würfel von Günther Zins im Stadtpark, eine ohnehin schon irreal wirkende Skulptur, hatte sich – wie es schien – endgültig in Luft aufgelöst. „Kunstraub!“ hallte es aus der Verwaltung. Bis der Fall eine äußerst überraschende Wendung nahm.
Es waren keine Metalldiebe, sondern der Wind, der die zwischen vier Bäumen an dünnen Drahtseilen befestigte Konstruktion in einer stürmischen Frühlingsnacht demontiert hat. Der DIN-Service hat’s am nächsten Morgen bemerkt, die auf dem Boden verstreuten Metallstangen eingelagert – und sich dann nicht mehr weiter darum gekümmert. Erst als das Vermissen des Würfels öffentlich wurde, klärte sich die Sache auf – und der damalige Kulturamtsleiter Klaus-Dieter Graf erhielt vom DIN-Service eine Rechnung über 89 Euro.
Wie aber konnte das Verschwinden des Würfels über vier Monate unbemerkt bleiben? „Man achtet ja nicht immer so drauf, wenn man an Dinge gewöhnt ist“, erklärte der damalige Pressesprecher Horst Dickhäuser. Das mag nach Entschuldigung, vielleicht sogar nach Gleichgültigkeit gegenüber der Kunst klingen, aber es ist wahrscheinlich die plausibelste Erklärung. Tatsächlich basiert nur rund 12,5 Prozent unseres Sehens tatsächlich auf Informationen, die uns die Augen übertragen, alles andere dieser ungeheuren und in Bruchteilen von Sekunden zu übertragenen Daten ergänzt unser Gehirn aus seinem Erfahrungsschatz. Da kann ein solch fragiles Werk von Zins tatsächlich ergänzt werden, weil es nicht ins Auge sticht. Sein Reiz liegt ja eben dort, wo das Gehirn die Informationen verarbeitet. Und da gibt ihm Günther Zins einiges zu tun.
Zins verwandelt geometrische Figuren aus dem perspektivischen Zeichnen in dreidimensionale Werke, die surreal im Raum zu schweben scheinen. Manchmal ist sogar die Dreidimensionalität nur Illusion: Am Voswinckelshof hängt eine solche flache Konstruktion als Leihgabe des Künstlers.
Der Dinslakener Zinswürfel schwebte zuerst über der Althoffstraße, dann – zweimal – zwischen den Bäumen im Stadtpark und seit Sommer 2020 im Innenhof des Technischen Rathauses. Dies ist eine beeindruckende wie passende Kulisse. Der Würfel schwebt gleichsam als ein Grundelement architektonischer Ideen zwischen den Flügeln des Gebäudes und weist zugleich auf dessen Funktion hin.
Quelle: RP 16.04.2021