Der Weisheit letzter Schluss

"Die Säulen der Weisheit" von Waldemar Kuhn galt es zu retten. Jetzt steht die Plastik vorm Theodor-Heuss-Gymnasium

von Bettina Schack

Waldemar Kuhns "Die sieben Säulen der Weisheit" stehen an ihrem neuen Standort im Stadtpark frei im Raum.

Foto: Bettina Schack

Dinslaken. Betritt man den Stadtpark vom Kreisverkehr aus und Hat Alfred Grimms Mahnmale passiert, ist diese Skulptur der Hingucker schlechthin. Fast weiß reflektieren die durchbrochenen, organischen Formen im Sonnenlicht und bilden gleichzeitg einen kompakten, wuchtigen Block im Kontrast zur weiten Rasenfläche und dem vereinzelten Baumbestand.

 

Waldemar Kuhns "Die sieben Säulen der Weisheit" als frei stehende, monumentale Betonplastik wertet den Park neben Dinslakens Rathaus-Schloss förmlich auf. Schweres Material geformt zu weich modellierten, lichtdurchbrochenen Strukturen, frei im Raum nach oben wachsend und doch in einer in sich geschlossenen Kontur ruhend. Die "Sieben Säulen der Weisheit" als frei stehende Plastik im Park vor der Kulisse des THG: Es scheint tatsächlich der Weisheit letzter Schluss zu sein.


Es ist auf jeden Fall ein Happy End, denn eigentlich schienen die Tage des Kunstwerks, für das die Stadt Dinslaken 1965 eine Menge Geld, nämlich 85.000 Mark, bezahlt hat, gezählt. Zu untrennbar schienen die "Säulen der Weisheit" mit ihrem Standort, der ehemaligen Jeanette-Wolff-Schule, verbunden.


Das Gebäude steht lee, bleibt nicht erhalten. Und die Plastik, die der für das "Schrottkreuz" in Emmerich weit über die Region bekannte Künstler Waldemar Kuhn vor Ort aus Beton über ein Metallgerüst modellierte, war eine beschädigte, bröckelnde und dunkel ergraute Masse, die untrennbar mit der Fassade am Eingang der Schule verbunden schien. "Wirtschaftlicher Totalschaden" lautete das vernichtende Urteil. Und dies ist gerade einmal zwei Jahre her.

 

Menschen brauchen Kunst. Aber die Kunst braucht auch Menschen. Ehrenamtlich Engagierte wie Ulrich Tekathen von der IG Altstadt, sensibilisierte Lokalpolitiker wie den Vorsitzenden des Kultur- und Partnerschaftsausschusses, Ronny Schneider, Profis in der Verwaltung wie Museumsleiter Peter Theißen und Spezialisten wie den Restaurator und Steinbildhauermeister Werner Paetzke aus Hörstel-Bevergern.


Die Genannten erkannten, dass die vor Ort modellierte und nicht wie sonst üblich gegossene Bronzeplastik ein einmaliges Unikat der 60er Jahre ist, wie es in Europa seinesgleichen sucht. Sie setzten sich für den Erhalt des Originals ein, leisteten Überzeugungsarbeit, nahmen Rat und Verwaltung mit. Zu den Akten gelegt die Überlegung, das Werk lediglich zu scannen und später eine Kopie aufzustellen. Das einmalige Kunstwerk wurde fachgerecht zerlegt, restauriert und wieder aufgestellt.

 

Und dies ist der Punkt, wo es noch einmal richtig interessant wird. Denn so, wie die Plastik jetzt wie Phönix aus der Asche stieg, hat sie der Künstler gar nicht gedacht. Kuhn lehnte sie an die Fassade, schuf ein Hybrid aus Skulptur und reliefartiger Kunst am Bau, dessen Mauer es völlig überragte. Die "Wiedergeburt" der "Säulen der Weisheit" sind eine Neuinterpretation als frei stehende Plastik, als völlig autonome Kunst im öffentlichen Raum. Und die kreative Kraft Waldemar Kuhns wirkt nach über 55 Jahren wie endlich freigesetzt, entfesselt, losgelöst von einem übermächtigen (Über-)bau.

 

So kann eine spätere Generation von Kunstkennern die Geschichte eines Werkes ein Kapitel zufügen, das der ursprüngliche Autor nicht vorahnen konnte, das in seinen Entwurf zwar eingreift, aber dies durch die gesteigerte Wirkung sicherlich legitimiert. Die "Weisheit" ein Glücksfall, nicht nur für Dinslaken.

 

Quelle: RP 07.07.2021